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  • AutorenbildRené Schwarzenbach

Vom Träumen und Albträumen

Aktualisiert: 21. Dez. 2021




Wohnen Sie auch so gerne in Erlenbach? Ich geniesse dieses Privileg schon seit 76 Jahren und schätze es sehr, dass in unserer Gemeinde Nachhaltigkeit kein Fremdwort ist. Dies hat unsere Umweltkommission im letzten Dorfbott eindrücklich dargelegt. Und wer jetzt, wie unsere Enkelkinder, auch noch Fan von Baustellen ist, muss sich in unserem Dorf gegenwärtig wie im Paradies vorkommen. Einige dieser Baustellen lösen bei mir allerdings gemischte Gefühle aus, vor allem, wenn ich die Dimensionen und die wenig inspirierende Architektur der entstehenden Bauten betrachte. Der Ersatz von alten Häusern durch Neubauten ist grundsätzlich keine schlechte Sache, da dadurch vor allem energetisch nachhaltigere Gebäude entstehen. Eine nachhaltige Dorfentwicklung umfasst aber viele andere wichtige Aspekte, wie z.B. ein «gesundes Verhältnis» zwischen unbebauten und bebauten Flächen (Gärten bilden in jeder Beziehung ein entscheidendes Element), ein Wohnraumangebot, das eine vielfältige Bevölkerungsstruktur fördert, öffentlicher Raum, welcher alltägliche Begegnungen im Dorf ermöglicht und nicht zuletzt ein harmonisches Dorfbild, auf das alle stolz sein können. Kurzum: ein Dorf wie Erlenbach 2021, in welchem man sich trotz Bauboom immer noch wohlfühlen kann.


Die Frage ist nur: Wohin geht die Reise noch?

Unter dem Titel «Zurück in Erlenbachs Zukunft» habe ich 2012 in einer Dorfbott-Kolumne eine Zeitreise ins Erlenbach 2050 gemacht: Der städtische Anblick der früher als «schönstes Dorf am Zürichsee» bezeichneten Gemeinde, insbesondere die «Strassenschlucht» zwischen dem ehemaligen Bahnhof und der Migros, führten bei mir zu derart heftigen Albträumen, dass ich schleunigst wieder ins Jahr 2012 zurückgekehrt bin, mit dem Ziel, alles zu tun, damit die Weichen für die Dorfentwicklung anders gestellt werden. Hier der letzte Abschnitt meiner damaligen Kolumne, der für mich heute aktueller ist als je zuvor:


«Es ist wohl höchste Zeit, dass wir endlich damit beginnen, uns alle miteinander intensiv über die Zukunft dieses Planeten zu unterhalten. Und am besten fangen wir bei unserem Dorf an. Wie heisst es so schön: Global denken und lokal handeln. Ich freue mich auf angeregte Diskussionen, wo immer diese in unserem Dorf stattfinden werden. Und auf eine Dorfentwicklung bei der unsere Enkel und Urenkel dann einmal zu Recht sagen können: Erlenbach ist einzigartig!»


Diese Kolumne versteht sich als «Weckruf» für die leider wieder etwas eingeschlafene öffentliche Diskussion über die Zukunft unseres Dorfes. Diese Diskussion ist angesichts der anstehenden Revision der Bau- und Zonenordnung und der damit verbundenen Erstellung eines neuen Leitbilds für Erlenbach aber dringend notwendig. Und es bietet sich die einmalige Chance, uns generationenübergreifend wieder einmal zu begegnen und uns darüber zu unterhalten, was jeder und jedem von uns bezüglich Dorfentwicklung besonders am Herzen liegt und was für Träume oder Albträume vorhanden sind. Dazu ein jüngstes Beispiel, das bei mir persönlich eher in die Kategorie «Albtraum» gehört:


«Sieht gar nicht so übel aus», so meine spontane Reaktion, als ich zum ersten Mal die eher harmlos und adrett daherkommende Visualisierung des von der SBB geplanten Bauvorhabens im vorletzten Dorfbott sah. Bis mich jemand auf die wahren Dimensionen des Gebäudes hinwies. Seither sitzt bei mir der Schock ziemlich tief! Ein derart gigantischer, fast 100 Meter langer, fünfgeschossiger Klotz mit 36 (!) Wohnungen gehört meiner Meinung nach an die Peripherie einer Stadt und nicht ins Zentrum eines Dorfes. Dieser geplante Gebäudekoloss ist in Erlenbach etwa so fehl am Platz, wie die riesigen Kreuzfahrtschiffe im Canale Grande in Venedig es waren. Eigentlich aber hinkt dieser Vergleich, denn die Kreuzfahrtschiffe verliessen Venedig ja jeweils nach kurzer Zeit wieder. Es war bei der Festlegung der entsprechenden Bauzone mit verdichtetem Bauen wohl nicht im Sinne der Erlenbacher Bevölkerung, dass damit ein Freibrief für das Erstellen von Gebäuden gegeben wird, die völlig quer in der Landschaft stehen und zu einer nicht wieder gut zu machenden Verschandelung des Dorfbilds führen. Darüber muss geredet werden.


Ich frage mich: Wird mit dem geplanten SBB-Koloss meine Albtraumvision Erlenbach 2050 eingeläutet? Oder liege ich völlig daneben und mein Albtraum entspricht gar dem Traum jüngerer Generationen? Auch darüber müssen wir reden.


Und hier noch mein persönlicher Traum für die Gestaltung des SBB-Areals: ein Dorfzentrum mit einem richtigen Dorfplatz, wo sich Jung und Alt trifft. Alles ist in unmittelbarer Nähe: Bahn, Bus, Post, Migros, Coop, die Bahnhofstrasse mit ihren Einkaufsläden und Gaststätten, und alles, was Platz hat in einem etwas bescheideneren SBB Gebäude, das Nutzungen zulässt, die auch der Erlenbacher Bevölkerung einen Mehrwert bringen.


Lassen sich solche Träume in Erlenbach überhaupt verwirklichen? Ich meine ja, wie es die Vergangenheit schon oft gezeigt hat. Was es braucht, sind genügend Erlenbacherinnen und Erlenbacher, denen die Zukunft unseres Dorfes ebenso am Herzen liegt wie mir.


Anm.: Dieser Beitrag von René Schwarzenbach ist im Erlenbacher Dorfbott 2021/Q4 erschienen.

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