- Daniel Stehula, ZSZ
«Gebäudekoloss» oder sinnvolle Aufwertung?
Die SBB planen Wohnungen und Geschäfte am Bahnhof Erlenbach. Es regt sich Widerstand im Dorf, noch bevor ein Baugesuch vorliegt: Zu gross scheint das Gebäude.

Geht es nach den SBB, wird beim Bahnhof in den nächsten Jahren ein modernes Wohnhaus entstehen mit Läden im Parterre und Parkplätzen im Sous-Sol. Geht es nach einer Gruppe von Erlenbacherinnen und Erlenbachern, wird darüber zumindest noch einmal gesprochen.
Im Lokalblatt «Dorfbott» sind mehrere Beiträge erschienen, die sich gegen das Bauprojekt aussprechen. Ein solches Gebäude passe nicht ins Dorf. Es sei ein «Gebäudekoloss», der zur Verstädterung Erlenbachs beitrage. «Ein einziger Klotz dieser Grösse ist ein Unding», schreibt Hansueli Zürcher, den Bau eines städtischen Zentrums lehne man ab.
Filigrane Fassade
Worum geht es? Im Mai 2021 präsentierten die SBB die Siegerprojekte des Architekturwettbewerbs für die Entwicklung des Bahnhofsareals in Erlenbach. Eine Fachjury kürte den Entwurf «Anna + Otto» des Zürcher Architekturbüros Ernst Niklaus Fausch Partner zum Sieger. Der Entwurf überzeugte die Jury durch seine «klare und selbstverständliche Setzung».
Die filigrane Fassade aus Glas und Holz gefiel ebenso wie die breite Treppe, die zwischen Bahnhofstrasse und Gebäude als Treffpunkt dienen soll.
Doch der Entwurf gefällt nicht allen. René Schwarzenbach schrieb im Lokalblatt: «Ein derart gigantischer Klotz gehört meiner Meinung nach in die Peripherie einer Stadt und nicht ins Zentrum eines Dorfes.» Knapp dreissig Erlenbacherinnen und Erlenbacher unterstützen Schwarzenbach und Zürcher. Auf einer Website organisiert sich die lose Gruppierung derzeit.
Zu den Unterstützenden zählt auch Erika Brandenberger-Mathys. Noch hat sie für die FDP das Präsidium der Rechnungsprüfungskommission inne. Im Frühling tritt sie aber nicht mehr zur Wahl an. Sie ist der gleichen Ansicht wie Schwarzenbach und Zürcher und sagt gegenüber dieser Zeitung: «Ich finde den Klotz auch viel zu gross und zu wuchtig.»
«Neu verhandelt werden»
Hansueli Zürcher schreibt: «Das neue Gebäude soll sich ins bestehende Dorfbild einfügen. Die maximale Grösse muss deshalb neu verhandelt werden.» Er schlägt vor, dass sich eine Bürgerinitiative für einen repräsentativen Bahnhofplatz und für ortsbildverträgliche Gebäudegrössen einsetzt.
Aufseiten der Bauherrin heisst es auf Anfrage: «Die Grundlage für den Gestaltungsplan wurde unter Mitwirkung der Bevölkerung in zwei öffentlichen Workshops erarbeitet. Die Gemeinde wurde frühzeitig in die Planung eingebunden und war zusammen mit unabhängigen Experten in der Jury vertreten.» Die SBB verweisen auf die Vorgaben des öffentlichen Gestaltungsplans «Bahnhofstrasse» und darauf, dass sich das Projekt daran halte.
«Noch kein Baugesuch»
Gemeindepräsident Sascha Patak (FDP) sagt, es handle sich nicht um ein Projekt der Gemeinde. Die Gemeinde sei zurückhaltend bezüglich Stellungnahmen bei Privatprojekten, zumal die Zentrumszone vor wenigen Jahren in Erlenbach durch die Gemeindeversammlung eingeführt worden sei. Es sei auch noch sehr früh, um Stellung zu beziehen. Denn: «Es ist noch kein Baugesuch eingegangen.» Laut SBB wird dies auch erst Ende Jahr zu erwarten sein. Bis dahin könne man nicht sagen, wie das Projekt genau aussehen werde.
Was nach einem Projektwettbewerb vorliegt, ist laut Patak «eine erste Auseinandersetzung der Architekten mit dem Thema». Bis zur konkreten Umsetzung könne sich noch vieles ändern. Zwar sei jetzt durchaus der richtige Zeitpunkt für Gespräche zwischen Kritikern und Eigentümern; sinnvollerweise sollten diese direkt das Gespräch suchen.
«Der Gemeinderat konnte bereits für die Gemeinde wichtige Punkte anbringen», sagt er. Die fünf neuen Geschäfte, die im Gebäude entstehen sollen, würden Leben ins Dorf bringen. Mit den bezahlbaren Wohnungen für Familien, Senioren und junge Paare liesse sich ein wichtiges Bedürfnis nach Wohnraum stillen. Die Öffnung des Aussenraums fördere Begegnungen im Dorfzentrum und erschliesse den unteren Teil der Bahnhofstrasse. Wie immer brauche es ein Abwägen zwischen Vor- und Nachteilen eines solchen Baus im Zentrum.
«Die Bahnhofsstrasse soll belebt und als Teil des Zentrums der Gemeinde Erlenbach im Sinne einer nachhaltigen Innenverdichtung an bester ÖV-Lage entwickelt werden», schreiben die SBB. Den entsprechenden Gestaltungsplan hat die Gemeindeversammlung 2012 angenommen. Bis das Bauprojekt umgesetzt ist, rechnet die Bauherrin mit 2028. Wenn nichts dazwischenkommt.
Dieser Artikel von Daniel Stehula ist am 03.03.2022 in der Zürichsee Zeitung erschienen.