Hansueli Zürcher
Erlenbach am Wendepunkt
Aktualisiert: 20. Dez. 2021
Liebe Erlenbacherinnen und Erlenbacher
Das Bauvorhaben der SBB mit 36 Kleinwohnungen und Ladenfläche im Parterre auf dem Bahnhofsareal in Erlenbach, publiziert in der ZSZ und im letzten Dorfbott, kommt auf den ersten Blick ganz hübsch daher, fast filigran und luftig. Die extremen Dimensionen des Gebäudes kommen dem Betrachter aber in keiner Weise zu Bewusstsein. Inspiriert durch die Höhenanhaltspunkte des Chilbi-Riesenrads haben wir eine fotorealistische Darstellung der Gebäudehülle in mehreren Perspektiven in Auftrag gegeben.
Das Resultat hat uns zu tiefst erschreckt. Das fünfgeschossige Gebäude mit einer Länge von knapp 100 m und einer Höhe von über 17 m bedeutet in seiner disproportionalen Grösse einen massiven Eingriff in das Ortsbild unseres Dorfes. Vergleichbares am rechten Zürichsee fehlt. Als einzelner Baukörper stört er die Harmonie des Ortsbildes in unerträglichem Ausmass. Der Bau wäre nur zu rechtfertigen, wenn man mehrere, ähnlich grosse Gebäude bauen würde, die ein neues Ensemble bilden und zu einer neuen Harmonie führen würden. (NZZ 11.11. 21) Der Neubau wäre deshalb nicht als einzelner erratischer Block, der das Dorfbild verzerrt, zu verstehen, sondern wäre städtebaulich richtungsweisend für die künftige Entwicklung des Dorfzentrums. Grund genug sich vor dem Spatenstich an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt nochmals grundsätzliche Gedanken über die Entwicklung unseres Dorfes zu machen.
Soll Erlenbach weiterwachsen bis..?
Unser Dorf verändert sich kontinuierlich. Dem Trend entsprechend werden im Rahmen einer tolerablen Entwicklung kleinere Häuser durch grössere ersetzt - meist auf Kosten von Gärten - aber ohne dass die Identität des Dorfes verloren geht. Der geplante Bau der SBB hingegen leitet eine Zäsur und einen Bruch in der Entwicklung ein.
Es stellt sich die grundsätzliche Frage: Für wen opfern wir unser Dorfbild? Für Wachstum? Ist es eine moralische Pflicht weiter zu wachsen und zu verdichten? Mit welchem Ende?
Die lokale Nachfrage rechtfertigt es nicht, es ist kaum anzunehmen, dass Erlenbacher und Erlenbacherinnen in Scharen ihre Häuser aufgeben werden zugunsten von Familien, um dann in Kleinwohnungen verdichtet zu wohnen.
Wachstum ist, hört man auf die Ökonomen, zwingend notwendig für wirtschaftliche Prosperität und Fortschritt. Da wird unter anderem auch der kontinuierliche Bevölkerungszuwachs in Kauf genommen oder gar als zwingend notwendig betrachtet. Die Zweifel werden immer stärker und das Unbehagen intensiver: Stellt diese Form des Fortschritts uns nicht durch fortschreitende Umweltbelastung einhergehend mit Klimawandel und Verbrauch der Ressourcen vor unlösbare Probleme?
Uns allen ist klar, dass Bäume nicht in den Himmel wachsen. Unkontrolliertes, unbegrenztes Wachstum ist kein Konzept der Natur, stichhaltige Beispiele belegen es. Eine menschliche Kultur, die ihre eigenen Voraussetzungen und Ressourcen konsumiert, muss im Irrtum sein. Es mag zu denken geben, dass keine der untergegangenen Kulturen es je für möglich gehalten hat, dass sie untergehen könnte. Unsere Gesellschaft, gleichermassen den Naturgesetzen unterworfen, sollte sich deshalb ernsthaft Gedanken machen, das Wachstum zu steuern und zu begrenzen. Umwelt – und Klimaschutz wie auch die Schonung der begrenzten Ressourcen gebieten es.
Wenn zweifelsfrei und gezwungenermassen grenzenloses Wachstums keine Zukunftsperspektive ist, stellt sich die Frage, wann und wie die Erkenntnis umgesetzt wird, und - weshalb sich Erlenbach nicht jetzt von der Wachstumseuphorie abwenden soll.
Unsere Frage an Sie: Wie soll unser Dorf in 10 Jahren aussehen, welches ist unsere Vision für Erlenbach?
Ist uns der dörfliche Charakter etwas wert und wollen wir uns bemühen, Neubauten harmonisch ins Dorfbild einzupassen?
Oder finden wir Gefallen an der rasch fortschreitenden Urbanisierung mit ihrem Reiz des anonymen, unabhängigen bis beziehungsvermeidenden Grossstadtlebens.
Möglicherweise wird von der jüngeren Generation der Verlust der Grünflächen und Gärten kaum mehr wahrgenommen, da sie sich vorwiegend in virtuellen Räumen aufhält. Auch aus Sicherheitsüberlegungen könnte in Zukunft das Wohnen in Hochhäusern bevorzugt werden.
Jetzt besteht die einmalige Chance, auf dem Bahnhofsgelände einen «richtigen» Dorfplatz zu realisieren, der Raum für Begegnungen und nicht zuletzt auch für die jährliche Chilbi bietet.

Sind wir bereit unser Dorfbild dem Profitstreben der SBB zu opfern?
Die Legitimation der SBB als Immobilienfirma ist juristisch wohl abgesichert, ansonsten aber sehr fraglich. Die Grundstücke wurden ihr überlassen zur Förderung des Personen - und Warenverkehrs und nicht zum Aufbau eines Immobilienimperiums, welches aus Streben nach Gewinnmaximierung mit ihren Bauten die Ortsbilder in anmassender Weise verändern (Wallisellen, Dübendorf).
«Eine Firma sollte nicht bloss Profit machen»
(Quelle: Urs Baumann, CEO ZKB, gegenüber der NZZ)
Für uns steht fest: Ein einziger Klotz dieser Grösse ist ein Unding und darf es so nicht geben; den Bau eines städtischen Zentrums lehnen wir ab.
Das neue Gebäude soll sich ins bestehende Dorfbild einfügen. Die maximale Grösse muss deshalb neu verhandelt werden. Das Wohnungsangebot sollte sich an den Bedarf der Erlenbacher Bevölkerung richten und deshalb grosszügige 2 und 3 Zimmereinheiten ausweisen. Die freie Fläche soll als repräsentativer Dorfplatz gestaltet werden.
Die in Planung begriffene Transformation des Dorfs muss jetzt noch einmal breit diskutiert werden, damit die Veränderung nicht erst zur Kenntnis genommen wird, wenn es zu spät ist.
Gerne würden wir mit Ihnen diskutieren, wie Sie sich die Zukunft von Erlenbach wünschen. Sollen wir uns mit einer Bürgerinitiative für einen repräsentativen Bahnhofplatz und für ortsbildverträgliche Gebäudegrössen einsetzen?
Wir sind gespannt und hoffen auf ein reges Echo. Ihre Beiträge werden bestimmen, wie wir uns weiter engagieren werden.